INTERVIEW MIT JESSICA HAUSNER
Jessica Hausner im Gespräch mit Claus Philipp
Claus Philipp: Ursprünglich war Amour Fou gar nicht als ein Film über den gemeinsamen Selbstmord von Heinrich von Kleist und Henriette Vogel geplant. Wo hat das Projekt seinen Anfang genommen?
Jessica Hausner: Vor etwa zehn Jahren hatte ich einen Drehbuchentwurf geschrieben über einen Doppelselbstmord aus Liebe. Ich fand das, was ich da fabriziert hatte, aber irgendwie nicht lebendig genug, zu konstruiert. Dann hab ich’s vor zirka fünf Jahren nochmal aus der Schublade geholt und wieder überarbeitet, es hat mir wieder nicht gefallen und dann hab ich mehr oder weniger per Zufall in einer Zeitschrift einen Bericht über Kleist und Vogel gefunden. Was mich daran interessierte: Kleist hatte anscheinend mehrere Leute gefragt, ob sie mit ihm sterben wollen – seinen besten Freund, eine Cousine und dann schließlich Henriette Vogel. Das fand ich irgendwie grotesk. Es hat dieser romantischen, übersteigerten Idee von Doppelselbstmord aus Liebe eine banale, leicht lächerliche andere Seite hinzugefügt. Und das hatte in meinen alten Entwürfen gefehlt. Dieser doppelte Boden, die Ambivalenz dessen, was man so als Liebe bezeichnet.
CP: Gewissermaßen die Frage, ob es jetzt tatsächlich ein Ausdruck von Liebe ist, oder einer gemeinsamen Verbundenheit, wenn man gemeinsam aus dem Leben geht? Oder ob es doch zwei egoistische Positionen sind, die da jede für sich Ausdruck suchen. Könnte man das so sagen?
JH: Ja, das Bild vom gemeinschaftlichen Doppelselbstmord aus Liebe ist gemeinhin ein sehr romantisches. Mich hat es interessiert das Ganze herunterzuholen auf den wackeligen Boden der Wirklichkeit, wo dann eben das gemeinsam Sterben doch zu einem jeweils einzelnen Sterben wird. Zu zweit, aber nicht gemeinsam.
CP Ich will da noch einmal nachhaken. Vor zehn Jahren überlegt sich eine damals noch sehr junge Filmemacherin einen Film zu so einem Thema. Was hat dich zuallererst daran gereizt?
JH: Für mich ist es paradox zu glauben, dass man „zu zweit sterben“ kann. Im Augenblick des Sterbens ist man unweigerlich allein, der Tod trennt einen auch immer von der anderen Person. Dieses Paradoxon hat mich, wie viele andere, gereizt. Dazu muss man wohl sagen: Amour Fou ist keine naturalistische Erzählung. Es geht nicht um einen konkreten „Fall“, sondern eher um eine Versuchsanordnung zur These: Liebe ist ein ambivalentes Gefühl. Im einen Moment ist man einander nahe, man ist eins mit der anderen Person, man versteht einander, und im nächsten Moment merkt man, wie missverständlich das ist. Dass man gleichzeitig auch gegenteilige Gefühle für die Person empfinden kann, die einen vielleicht sowieso schon längst nicht mehr liebt.
CP: Versuchsanordnung. Das passt in jeder Hinsicht zu Heinrich von Kleist. Einem Autor, der nicht selten selbst reale Begebenheiten zum Ausgangspunkt für ein Ausloten von emotionalen und gesellschaftlichen Konstellationen nahm. Man denke nur an Die Marquise von O., Das Erdbeben in Chile oder Michael Kohlhaas…
JH: Genau, anhand eines konkreten Beispiels wird eine allgemein menschliche Situation durchexerziert. Auch mir geht es – in allen meinen Filmen eigentlich, aber in diesem Film speziell – nicht so sehr um einen konkreten historischen Fall, sondern um die verschiedenen Varianten einer Behauptung, in diesem Fall von Liebe.
CP: In Amour Fou zeitigt das hoch elaborierte Dialoge, bis an den Rand des Absurden. Es ist ja absurd, wenn ein Mann Menschen
einfach anspricht und sagt: Hätten Sie Interesse daran, sich mit mir gemeinsam das Leben zu nehmen?
JH: Ich suchte nach einer Form, die auch etwas Artifizielles hat. Damit die Geschichte nicht hängen bleibt auf dem Biografischen – es ist kein Biopic –, sondern dass klar ist, dass hier ein Exempel erzählt wird. Geraldine Bajard, die mit mir gemeinsam das Drehbuch entwickelt hat, und ich, wir haben das sozusagen im Ping Pong System miteinander entwickelt: Dialoge, sprachliche Kaskaden, die sich immer mehr steigern. Etwa, wenn Henriette hypnotisiert wird und gerade in der Trance in schönstem komplizierten Deutsch eine tiefe innere Erkenntnis über sich selbst formuliert, dann ist das gleichzeitig auch ein Witz. Klarerweise würde kaum jemand unter Hypnose so elaboriert sprechen, oder? Dazu hat mich übrigens diese unglaublich tolle Szene in Woody Allens Film ‚Zelig‘ inspiriert, wo er auch hypnotisiert wird und auf die Frage, warum er immer die Gestalt der anderen annimmt, sagt: ‚I wanna be liked‘. Er trifft da wirklich den Nagel auf den Kopf. Er sagt einfach die Wahrheit, ohne Umschweife. Und so ist es bei uns auch mit Henriette Vogel: Sie sagt einfach was los ist, sie hat Angst vorm täglichen Leben.
CP Offenkundig habt ihr auch ausgiebig Texte aus Kleists Zeit studiert, um dann diesen speziellen Tonfall zu finden?
JH Das war eine ziemlich langwierige und akribische Recherche, Viele Briefwechsel aus der damaligen Zeit. Tagebücher. Gesprochene Sprache ist klarerweise nicht überliefert, in einem Tagebuch oder einem Brief ist man sozusagen noch am ehesten an dem Dialog dran. Teilweise habe ich Sätze, die ich mochte, transkribiert, um mich einzuüben in die Sprache. Ich hab auch aus Kleists Briefen teilweise ganze Sätze übernommen. Da haben sich dann im Laufe der Arbeitens am Drehbuch nur wenige davon gehalten, aber der Sprachstil ist dadurch eingeflossen.
CP Zum sprachlichen „Korsett“, das sich natürlich aus den Konventionen einer gewissen Zeit kommt hier auch noch eine für das Kostümmelodram typische Abschnürung durch äußere Erscheinung, Ausstattung, Kostüme und so weiter. Ab wann hat sich denn das „Bühnenbild“ für Amour Fou konkretisiert?
JH Ja, Bühnenbild ist wirklich das richtige Wort. So wie bei meinem letzten Film Lourdes der gleichnamige Wallfahrtsort die Bühne war, ist in dem Fall ‚historischer Film‘ die Bühne. Das war sicherlich auch einer der Gründe, warum ich mich letztlich für die Kleist-Geschichte entschieden habe. Ich spürte: Wenn ich die Geschichte in die Vergangenheit verlege, dann bekommt das Ganze von selbst eine viel größere, eine ironische Distanz und dadurch auch die Möglichkeit, ein reflexives Moment, das ich in Filmen sehr schätze, einzuführen. Und dabei war auch die Gestaltung des Raumes sehr hilfreich. Mir geht weniger darum, ein naturalistisches Bild zu entwerfen, sondern eher ein realistisches. Ich orientiere mich da an der bildenden Kunst, wo man diesen Unterschied macht – beim Film ja nicht so stark. Die Bilder aus der damaligen Zeit haben wir lange studiert auch für die Gestaltung von den Innenräumen. Fast alles ist im Studio gebaut – nicht nur, weil es einfacher ist oder weil man heute nicht mehr so schöne Palais fände, sondern um das Ganze markant zu gestalten, dass man den Willen zur Vorstellung in jedem Wortsinn auch tatsächlich spürt.
CP Was hat denn das für die Arbeit am Set bedeutet? Haben die Schauspieler vorher lange Textproben gemacht? Die Komposition von Amour Fou lässt ihnen ja auf den ersten Blick nicht viel Spielraum, außer eben den richtigen Tonfall, wie er dir vorschwebte, zu treffen. Wie oft mussten Szenen gedreht werden?
JH Die meisten haben wir ca. 15 – 20 Mal gedreht. Aber da ging es eigentlich immer nur um das gesamte Ensemble der „theatralischen“ Bildausschnitte. Ich sehe sie manchmal wie Seelenräume. Die Personen, die in so einer Szene drin sind, stellen nicht Psychologie aus, sondern sie sind Elemente im Raum, wie ein Sofa oder ein Tisch. Das Ganze ist sozusagen ein Bild, und jeder hat seinen Platz darin. Die Inszenierung ist eine Choreografie; was gesprochen wird, ist ein Text; und das Ganze ist sozusagen wie ein Tableau Vivant. Die Arbeit am Set war entsprechend einfach, weil alles klar war von Anfang an: Wir hatten ein Storyboard gezeichnet, die Schauspieler kannten ihre Rolle und ihren Text. Und es ist bei meinen Filmen meistens so, dass ich eher vorher beim Casting sehr lange arbeite und viele Szenen ausprobiere mit den Schauspielern. Wenn ich mich dann für einen Schauspieler entschieden hab, ist meistens schon alles klar. Wir haben ohnehin jede Szene beim Casting geprobt, und dann gehen wir aufs Set und machen das einfach.
CP Das ist schon sehr spezifisch an diesem Film Die Figuren erklären sich nicht über eine Form von mimischer Virtuosität,
sondern tatsächlich, dass sie geradezu kalt, wie in einem Text von Heiner Müller, entlang der Sprache funktionieren.
JH Ja, und da reagieren Schauspieler sehr unterschiedlich. Manchen fällt das sehr leicht, und andere tun sich damit schwer, weil sie gerne ihre eigene Figur differenzierter gestalten würden. Aber das ist ja an sich auch gut. Dadurch, dass ich sehr klare Vorgaben hab – Bildausschnitt, Choreografie, Text – an denen nicht gerüttelt wird, dadurch ist es ja wirklich schwierig. Wo ist die kleine Lücke, wo ein Schauspieler sich lebendig einbringen kann? Und deswegen bin ich eigentlich immer sehr froh, wenn ein Schauspieler sich wehrt gegen das Korsett. Wenn er versucht, noch etwas einzubringen, weil sonst würde das Ganze natürlich zu trocken. Wenn mich jemand überrascht und mir noch einen neuen Duktus auftut, dann bin ich meistens am allerglücklichsten. Da wird es erst richtig interessant.
CP Henriette Vogel – was macht das Besondere an dieser Frauenfigur für dich aus?
JH Es gibt nicht viel überliefertes Material über sie. Ein paar Briefe, ein Portrait von ihr oder zwei. Aber ich hatte den Eindruck: Wenn eine Frau sich unter welchen Umständen auch immer verführen lässt, mit einem Mann gemeinsam Selbstmord zu begehen, dann deutet das zumindest für mich schon auf eine gewisse Passivität hin – dass sie vielleicht leitbar oder lenkbar ist oder dass sie zumindest so wirkt. Mich interessieren meistens Frauenfiguren, die im ersten Moment irgendwie brav wirken; und dann stellt man im Laufe der Geschichte fest, dass sie sich auf eine ziemlich starrköpfige, sture Weise allem widersetzen, was man ihnen aufzuoktroyieren versucht. Im ersten Moment wirkt so eine Frau irgendwie weich und nett, und dann stellt man fest: Die ballt die Faust in der Tasche. Henriette Vogel ist möglicherweise so ein Fall.
CP Amour Fou ist wahrscheinlich dein bis jetzt komischster Film, so seltsam das bei dem Thema klingen mag. Könntest du dir vorstellen, in absehbarer Zeit einmal wirklich eine Komödie zu machen?
JH Naja, was ist wirklich eine Komödie? Was mir gefällt, ist: Lachen aus einer Erkenntnis heraus. Man lacht, weil man plötzlich versteht…
CP Ein Lachen der Aufklärung?
JH Man lacht, weil man plötzlich versteht, ja was für ein Körnchen im Weltall man ist, oder wie lächerlich manches ist, dass Größe plötzlich zerbröselt in Banalität. Das ist auch befreiend im Sinne von: Okay, ich erkenne an, ich bin ein Teil von einem großen Nichts, na und?!
CP Das lachende Sandkorn.
JH Ja, genau, so irgendwie.