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INTERVIEW mit Benjamin Heisenberg zu SCHLÄFER
April, 2005

Hochhäusler
Was war der Auslöser für SCHLÄFER?

Heisenberg
Der 11. September war der aller erste Anlass für den Stoff, aber eigentlich mehr noch die Verabschiedung der Sicherheitspakete I+II danach, die mich hellhörig machten, weil mir klar wurde, dass eine datenschützerische Hemmschwelle durch die Angst vor dem Terror abgebaut
worden war. Aus diesem Gedanken heraus habe ich angefangen mich damit zu beschäftigen, wie schnell eine Verunsicherung der Gesellschaft, die sich bis in den privaten Bereich erstreckt, dazu führt, dass Lehren, die zum Beispiel aus dem dritten Reich gezogen worden sind, vergessen werden. Mein Zugang zu der Geschichte war es dementsprechend, die politische Ebene fein mit den privaten Konflikten der Charaktere zu verweben, so dass eine schleichende Korrumpierung der Menschen spürbar wird, die letztendlich Johannes, den Protagonisten in den Verrat führt.

Hochhäusler
Warum spielt die Geschichte im Wissenschaftsmillieu?

Heisenberg
Einerseits kenne ich dieses Millieu sehr gut, weil mein Vater als Neurobiologe arbeitet und ich aus einer Familie von Wissenschaftlern komme. Andererseits hat es damit zu tun, dass Wissenschaftler gerade im Zusammenhang mit Tierversuchen immer wieder mit ganz basalen
moralischen Fragen Konfrontiert werden und es sich sehr schnell zeigt, wie jeder einzelne damit umgeht. Auch erlebt man im Laboralltag der Tierversuche einen ganz einfachen, faktischen Umgang mit Leben und Tod, unabhängig von jeder Moral, der eine inneren Haltung hervorbringt, die sich auf seltsame Weise mit der eines Geheimdienstinformanten, aber
auch der eines Schläfers zu verbinden schien.

Hochhäusler
Inwieweit hast Du vorgehabt, einen politischen Film zu machen?

Heisenberg

Das politische hat vorallem etwas mit der Genauigkeit in der Schilderung eines Lebenszusammenhangs zu tun. Deshalb ist Fassbinder auch so politisch, weil er so genau, schmerzhaft und auch lustig erzählt und darstellt, dass man plötzlich merkt, wo in einer Gesellschaft, in einem Lebensgefühl, in einer Identität die Brüche liegen. In diesen Brüchen findet Politik statt. Fragen nach der Leitkultur oder ähnliches fallen in Lücken in uns und in der Gesellschaft, die gefüllt werden wollen mit einem Begriff. Deswegen glaube ich nicht, das man die politische Relevanz eines Films daran festmachen kann, ob er ein politisches Thema hat, oder nicht. Für mich sind Filme politisch - unabhängig vom Thema und der Geschichte -, in denen der Versuch unternommen wird, die Welt mit einer unerbittlichen Unbestechlichkeit zu schildern, ohne sich selbst oder den Zuschauer einzulullen. Filme, die man ganz wach und aufmerksam sieht und die
genauso wach und aufmerksam gemacht wurden. Das ist sehr politisch, weil sich der Filmemacher weniger hinter einer Fassade verbirgt, sondern sich und seine Weltsicht ständig hinterfragt und den Zuschauer an diesem Prozess beteiligt.


Hochhäusler
Du zeichnest eine Figur, die in wesentlichen Punkten das Vertrauen von anderen bricht. Andererseits gibst du der Figur eine ganze Reihe Attribute, die mit dir zu tun haben. Das geht bis ins Autobiographische. Bist du das, der da sündigt?

Heisenberg
Die Geschichte handelt von jemand, der eigentlich Gutes will, integer sein will, aber einen Fehler macht, und von der Frage, wie er damit zurecht kommt. Diesen Konflikt gibt es in all meinen Kurzfilmen bisher. Das scheint ein Grundthema von mir als Erzähler zu sein. Ich habe mich selbst in meinem Leben immer wieder damit beschäftigt warum ich auf eine Weise gehandelt habe, die ich moralisch nicht von mir erwartet hätte. Es gab Momente, in denen ich mich gefragt habe: „Sei ehrlich, verrätst du dich gerade selbst, verrätst du das woran du glaubst, oder hast du dich einfach verändert und siehst die Welt jetzt anders?“ Ich habe mich gefragt wie fest ich tatsächlich auf dem Boden stehe, ob ich opportunistisch werde, wie sehr ich mich von jemand beeinflussen lasse,
der mir etwas über einen Dritten erzählt, und so weiter. Diese Selbstüberprüfung hat mich oft sehr bewegt und ist sicher ein Grund dafür daß ich den Menschen prinzipiell als moralisch brüchig wahrnehme und darstelle. Denunziatorische Seiten von denen Du bei Johannes sprichst haben alle wichtigen Charaktere an sich und sie werden von sich selbst oder anderen dazu verführt. Darüber steht aber eine grundsätzliche Verunsicherung der Menschen in der Frage, wie weit sie ihren Eigenen Einschätzungen und Grundsätzen überhaupt vertrauen können. Diese Verunsicherung nehme ich in meiner Generation sehr stark wahr. Sie führt zu Verratsmomenten, die bei allen Charakteren aus einer vielzahl von Gründen auftreten. Neid ist ein Grund, Liebe ein anderer, Ängste, Eitelkeiten, Fahrlässigkeit und Naivität. Es ist mir wichtig, daß die Motive sich wie im Leben mischen und man die Menschen dabei begleitet, ohne sie zu verurteilen, oder zu entschuldigen. Stattdessen hoffe ich eine Art unscharfer Dynamik der Kommunikation sichbar zu machen, die in Prozessen zwischen Menschen gleichzeitig emotional und logisch wirkt und oft zufälliger aus der Konstellation des Moments
heraus entsteht.

Hochhäusler
Es gibt da so einen Schlüsselsatz von Johannes im Film: „Das Schlimmste im Leben ist, dass man jeden verstehen kann.“ Das ist ein Satz, der auch widerhallt im Gefühl ihm gegenüber, weil man ihn versteht, ihn aber nicht verurteilt. Ich habe so ein bisschen die Befürchtung, dass das in Konsequenzlosigkeit mündet, weil es sehr fatalistisch ist. Man behauptet damit: „Alle sind, wie sie sind, und sie müssen sein, wie sie sein müssen.“ Das ist eigentlich das Gegenteil von Politik, wenn man sagt: „Alles passiert, wie es passiert.“

Heisenberg
Aber darin liegt ja eines der großen Dilemmata unserer Zeit. Die Patt-Situation, die dadurch entsteht, dass wir das Gegenargument ständig mitdenken und in ganz vielen Momenten faktisch nicht wissen, was richtiger ist. Wenn wir dann auch keinen emotionalen Impuls in die eine oder andere Richtung haben, dann führt es zum Stillstand. Gleichzeitig bleibt am Ende des scheinbaren gegenseitigen Verstehens doch eines übrig: Alle haben gewusst, was der andere wollte, haben sich gegenseitig verstanden und sind doch sich selbst gefolgt, dem eigenen inneren Trieb und dem eigenen inneren Wunsch. Und so ist Johannes auch.

Die Verfassungsschutzbeamte, Frau Wasser sagt im Film zu Johannes: „Ihre Motive stimmen. Sie sind integer. Deswegen habe ich genau Sie ausgewählt.“ Das schmeichelt ihm unheimlich. Sie trifft ganz gezielt seinen Wunsch einfach gut zu sein und gibt ihm eine Art von Sicherheit, weil sie damit auch impliziert: Sie können auch mit uns zusammenarbeiten, das wird an ihrer Integrität nichts ändern. Aber das stimmt eben nicht. Selbstverständlich wird Johannes durch das Wissen des Verfassungsschutzes korrumpiert und gegenseitiges Verständnis heißt eben noch nicht, dass man auch im Sinne des anderen handelt.

Hochhäusler
Das ist eigentlich ein sehr einsames Weltbild.

Heisenberg
Ja. Deswegen bleibt Johannes auch zurück und versucht am Ende zu beten. Es ist ja nur ein Versuch. Danach ist Stille. Ich hatte immer die Vorstellung, dass man in diesem Moment der Stille denkt, vielleicht passiert jetzt irgendwas, weil er gebetet hat, vielleicht hat das was ausgelöst. Aber es löst nichts aus. Und dann ist der Film aus.

Hochhäusler
Ich würde gerne noch über die Einflüsse reden, die Dich geprägt haben. Du hast ja zuerst Kunst gemacht, machst immer noch Kunst und stellst im
Kunstkontext Filme aus, die sich aber von „Schläfer“ dadurch unterscheiden, dass sie sehr stark die Rätselhaftigkeit betonen, die
Ambivalenz. „Schläfer“ dagegen ist sehr klares Erzählkino. Woher kommt diese Trennung?


Heisenberg
Ich würde sagen, ich probiere in der Kunst Sachen aus, die ich im Film weiterverarbeite. Die Arbeiten im Kunstkontext kommen aus einem ständigen Haushalt von Gedanken, wo ich verschiedene Elemente miteinander kombiniere. Ich sehe Film sehr stark als Kollagemedium. Das Erzählerische finde ich eher sekundär. Eigentlich besteht Film ja aus 24 stehenden Bildern, die aber in einer Sekunde schnell nacheinander projiziert werden. Dazu spielt man einen Ton ab, der teils scheinbar synchron, teil asynchron läuft. So ergibt sich eine Illusion von Bewegung, in der ich herummodellieren kann. Diese Form der Kollage, die
der Film ermöglicht, finde ich sehr interessant. Ich erforsche sozusagen semantische Möglichkeiten in diesem Kosmos.



Das betrifft aber momentan noch mehr die Arbeiten für Ausstellungen als die Spielfilme. Der Spielfilm kommt aus meiner Leidenschaft für das Geschichtenerzählen. Das Geschichtenerzählen hat viel mit dem Schaffen von Ordnung zu tun und steht insofern in einem gewissen Gegensatz zum „Chaos“ der Kollage, in der ich freier montieren kann. Trotzdem mischt es sich auch immer wieder. Zum Beispiel hatte ich die Technik der Teleprompter-Aufnahmen von Johannes und Farid beim Computerspiel früher schon in einer Videoinstallation verwendet. Nicht zuletzt haben meine Spielfilme auch zu tun mit der Liebe zu Filmen der Filmgeschichte, die mich geprägt haben. Ich kann das aber kaum trennen, und vielleicht kommen irgendwann die Arbeiten für Ausstellungen einfach in den Spielfilmen vor, oder aus der Fusion von Kollage und Erzählung entsteht wieder was Neues.

Hochhäusler
Inwieweit fühlst du dich mit dem Kino heute verbunden?

Heisenberg
Meine Kurzfilme haben am Anfang, wahrscheinlich durch meine damalige filmische Sozialisation, eher altmodisch im Stil gewirkt, sind aber peu a peu sozusagen gegenwärtiger geworden. Ich weiß nicht, inwiefern sich mein Kino vom sonstigen Kino heute unterscheidet. Dem amerikanischen Mainstreamkino, das sehr viel schneller und auch deutlicher erzählt ist, fühle ich mich nicht sehr stark verbunden. Es gibt Regisseure aus der Zeit New Hollywoods oder Klassiker wie Hitchcock, Visconti, Buñuel und viele andere, die mich viel mehr beeinflusst haben. Aber es gibt auch heute einige andere Regisseure, die in einem ähnlichen Duktus, wie ich erzählen. Von der Bildsprache ist es nicht sehr weit von Teilen des französischen Kinos entfernt. Ich nenne mal Agnès Jaoui oder Bruno Dumont. Auch das Kino von Jessica Hausner oder Filme von Dir und von Ulrich Köhler oder Valeska Griesebach sind nicht so weit davon entfernt. Ich glaube, ich passe also schon in eine Generation von Filmemachern, die in gewissem Sinn filmsprachliche Gemeinsamkeiten hat. Nicht umsonst spricht die französische Presse mittlerweile von einer "vague allemande".

Hochhäusler
Das klingt, als wäre deine Filmsozialisation in der ganzen Filmgeschichte angesiedelt. Vielleicht verarbeitet unsere Generation Einflüsse aus der Filmgeschichte sehr viel freier, obwohl wir keine starke deutsche Tradition hinter uns haben, der man sich jetzt anschließen könnte. Das liegt zu weit zurück.

Heisenberg
Ja. Sicher bin ich nicht nur innerhalb des deutschen Films sozialisiert. Ich liebe Filme von Fassbinder, der einer der ganz wichtigen Orientierungspunkte in meiner persönlichen Filmgeschichte ist, aber er steht neben Visconti, Bergman, Wajda, Tarkowskij, Buñuel, Truffaut, Kurosawa und einigen anderen.

Hochhäusler
Zusammen mit mir, mit Jens Börner und mit Nicolas von Wackerbarth bist Du ja Mitherausgeber einer Filmzeitschrift, „Revolver“. Inwieweit prägt
das Dein filmisches Denken? Inwieweit sieht man Deinem Film an, dass Du das machst?

Heisenberg
Die Beziehung ist relativ stark. Die Texte begleiten mich, seit wir mit Reolver angefangen haben, seit der ersten Reise nach Kopenhagen zu Lars von Trier. Ich schaue immer wieder in alte Hefte und lese etwas nach. Und für mein Verständnis von Film, auch für meine Arbeit beim Drehbuchschreiben und beim Regieführen, sind u.a. unsere Interviews mit Jean Claude Carrière oder Michael Haneke sehr interessant gewesen. Ich habe mich früher viel mehr mit Kunstgeschichte auseinander gesetzt als mit Filmgeschichte. Meine Lieblinge waren Matthias Grünewald, Francis Bacon und Damien Hirst. Die Filmgeschichte kam eher en passant, weil es bei uns in der Stadt ein Volkshochschulkino gab. Mit 18 sind mein Bruder und ich da immer hingegangen und haben Filme gesehen, die ich auch seitdem nie wieder gesehen habe. Kuriose tschechischen Zeichentrickfilme, teilweise ganz berühmte und teilweise unbekannte, aber sehr schöne Filme. Dann habe ich aber Kunst studiert und so ist die Kunstgeschichte, mit der ich mich beschäftigte – zumindest am Anfang – viel stärker in meine Filme eingeflossen als die Filmgeschichte. „Revolver“ bot mir die Gelegenheit, mich noch einmal mit dem auseinanderzusetzen, was ich gesehen hatte, und nachzufragen, wie andere Leute damit umgehen. Außerdem ist gleichzeitig mit „Revolver“ zumindest in Ansätzen auch ein Netz von Filmemachern entstanden, die in regelmäßigem Austausch miteinander stehen. Und das ist mindestens genauso wichtig.


Kurzstatement des Regisseurs / Drehbuchautors

Schläfer ist ein Film über einen gesellschaftlichen Zustand der Verunsicherung, mehr als über die Gefahr durch den islamischen Terror, oder die Schuld oder Unschuld einzelner Charaktere. Er beschreibt Konstellationen, in denen der Mensch aus der gewohnten Weltwahrnehmung geworfen wird und das Vertraute seine Unschuld verliert. Im schleichenden Strudel aus Verunsicherung Angst, Zwiespalt und Misstrauen kann ein Augenaufschlag, ein falsches Wort, eine Berührung zum Auslöser einer politischen und menschlichen Tragödie werden. Das Drama liegt in der Entfremdung, der inneren Verarmung der Menschen, im Gegenüber von Moral und Triebhaftigkeit und in der unheilvollen Verflechtung von makroskopischen und mikroskopischen Fragen des Lebens.

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