Jessica Hausner über LOVELY RITA |
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Vor einiger Zeit habe ich von einem Fall gelesen, da ging es um ein junges Mädchen
aus gutem Hause. In dem Bericht wurde sie nach dem Verhältnis zu ihren Eltern, zu Mitschülern, zu Männern
befragt. Ihre Antworten waren typisch für ein extrem von der Pubertät gequältes Mädchen mit
Wutgefühlen, Selbsthaß, und Haß auf die Außenwelt, repräsentiert durch den autoritären
Vater, der das Mädchen nach seinen Vorstellungen hatte zurechtbiegen wollen - Umstände, die auf tausend
andere Teenager auch zutreffen, die aber deswegen nicht ihre Eltern umbringen, was dieses Mädchen jedoch tat.
Warum hat gerade sie das getan? Ihre Antwort lautete schlicht: Sie sah die Waffe auf der Küchenkredenz liegen,
nahm sie und erschoß die Mutter, dann den Vater. Man kann nun eine Vielzahl von Umständen und Ereignissen
angeben, die diesem Zufall schließlich auf die Beine halfen und zu dem Mord führten. Ohne diese erklärenden
Umstände außer Acht zu lassen oder zu leugnen - mein Interesse an dieser Geschichte liegt insbesondere
bei dem Zufall, der sinnlos und unberechenbar letztlich die Geschicke lenkt: es steckt in diesem Mord eine erschreckende
Willkür. Die Willkür einer Natur, der sowohl Mitleid als auch Gnade fehlt.
Die Dinge passieren, wie sie passieren. Dieser Aspekt steuert die Erzählweise des Films: Die Ereignisse entwickeln
sich entlang gewisser Bahnen, manchmal passieren Dinge sehr abrupt, ohne Vorwarnung und Erklärung. Ebenso
die Personen: es wird nicht so sehr der Blick in die "Seelé einer Figur behauptet, sondern meistens allein der
äußere Blick auf das Sichtbare gewährt, da bleibt manches nur eine Andeutung, eine Ahnung auf das,
was dahinter liegt (das Geheimnis einer Person, eines Ereignisses), manches bleibt auch gänzlich unklar. Die
Annäherung an die Figuren geschieht dadurch allmählich - und Sympathie entsteht schließlich da,
wo Ritas Sehnsucht zum Ausdruck kommt. Aber letztendlich ist Rita Täterin so sehr wie Opfer - beziehungsweise
werden diese Begriffe bedeutungslos: Jenseits von Absicht und Moral ereignen sich eben die Ereignisse.... sie passieren
einfach.
Es gibt zwei Tendenzen bei der Umsetzung, die das oben Beschriebene in Zusammenarbeit herstellen sollen: Realismus
und Stilisierung. Unter Realismus verstehe ich einen fast dokumentarischen Zugang - in dem Sinn, als es sich um
eine facettenreiche Realität handelt, mit Ausbuchtungen (siehe oben: manche Situationen oder Personen, ihre
Worte oder Gesten, bleiben uneindeutig). Eine Realität, die ihr Geheimnis hat, die sprunghaft und zwiespältig
ist, mit vielen Graustufen. Mit Stilisierung meine ich Aussparungen, Unterbrechungen: das betrifft die Kamera,
den Schnitt, die Erzählweise. Durch die Lücken, die so entstehen, stellt sich die Frage nach dem, was
außerhalb des Gezeigten, des Sichtbaren liegt. Das ist die entscheidende Frage, die der Film stellt, die
am Ende durch Ritas Blick an den Zuschauer übergeben wird. Die "Stilisierung" verleiht dem Film die Fähigkeit,
eine allgemeine Aussage zu treffen, die über das Hier und Jetzt hinausgeht. Beide Tendenzen wirken zusammen
und erzählen vom Fremdsein, vom Alleinsein in der Welt, von der Stille (ohne Worte), von der gleichgültigen
Natur, die lustig und traurig zugleich ist, gut und böse, wahr und falsch, zwei Seiten einer Medaille. |
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