mit Jessica Hausner

     

Was war die Grundidee, von der du beim Drehbuch schreiben ausgegangen bist?

 

Mich hat die Vorstellung einer Person gereizt, die harmlos wirkt, aber radikal handelt: Die Hauptfigur ist ein sehr junges Mädchen, tolpatschig und eine Außenseiterin. Aber gerade weil sie so jenseits von allem steht, läßt sie sich von Normen überhaupt nicht beeindrucken. Sie überschreitet einfach Grenzen, tut Dinge, die man "eigentlich nicht tut" in ihrem Alter, in ihrer Position.

 
     

In deinen früheren Arbeiten waren auch schon junge Frauen oder Mädchen Hauptfiguren, die irgendwie am Rande des Geschehens stehen. Was interessiert dich an solchen zwiespältigen, vielleicht auch nur bedingt liebenswerten Charakteren?


Die Außenseiterfigur ist ja ein Platzhalter. Also, wenn du so willst, ein film-dramaturgisches Mittel, um einen bestimmten Zustand prägnant erzählen zu können: es geht um Einsamkeit, in Wirklichkeit. Darum geht es mir eigentlich in all meinen Filmen: "Flora", "Inter-View" und "Lovely Rita". Das sind Außenseiter, die etwas in sich tragen, was jeder in sich trägt: das Gefühl des Alleinseins. Und darüber hinaus die Sehnsucht, Kontakt aufzunehmen zu anderen Menschen und sich auszutauschen, jemandem nahe zu sein und Sympathie zu erfahren. Manchmal gelingt das auch, aber eben nur kurz.

Glaubst du, dass sich Gleichaltrige mit so einer Figur identifizieren können oder überhaupt wollen? Überlegst du dir, was zum Beispiel den Jugendlichen, die ins Apollo-Kino gehen, dein Film sagen würde?


Das überlegí ich mir schon. Ich bin sehr neugierig, wie das Publikum darauf reagiert. Gerade unter Jugendlichen heißt ja "cool" sein auch: viele Freunde haben, in eine Gruppe integriert sein. Ich glaube, es ist ein totales Tabu, zuzugeben, dass man einsam ist. Manchen wirdís vielleicht nur auf die Nerven gehen, weil sie darüber gar nicht nachdenken wollen.

Mit welchen Mitteln hast du dich in diesem Film deinem Begriff von Realität genähert?


Ein wichtiger Punkt ist dabei der Zufall. Und der hängt wieder damit zusammen, dass ich mit Laien gedreht habe. Das Drehen mit Laien erzeugt ein bestimmtes Bild von Realität. Sie sind auf eine Weise unkontrollierter, wenn sie spielen, weil sie keine Übung darin haben, sich selbst auf den Punkt zu bringen. Sie erzeugen dieses komische "schillern", was daher kommt, dass ein Mensch im gleichen Moment sympathisch und unsympathisch sein kann. Der Film ist eigentlich sehr distanziert erzählt. Er wahrt seine Distanz zu Rita und allen anderen Menschen. Wenn man ihn sieht, hat man im weitesten Sinne auch dieses Gefühl von "Draußen-Stehen". Die Möglichkeit, dieses sogenannte "Fenster zur Seele" durch eine Nahaufnahme zu bieten, existiert hier nicht. Dabei gibtís ja relativ viele Nahaufnahmen. Diese Zooms zum Beispiel - das ist wie ein "Zoom auf die Seele" -, du siehst aber nicht mehr als ein Gesicht. Es bleibt nur die Oberfläche. In der Erzählung gibt es radikale Ellipsen. Wenn der Erzähler gerade nicht "dabei" war: Pech, das kommt halt nicht vor. Es muss ausreichen, dass die einzelnen Szenen in sich glaubwürdig sind. Der Moment muss einfach total da sein. Das versetzt den Zuschauer in die Lage, dass er mitarbeiten muss. Das letzte Bild, wo Rita in die Kamera schaut, ist eine große Frage. Das ist eigentlich genau der Moment, in dem sie den Ball dem Zuschauer zuwirft und der muss selber schauen, was er damit anfängt.

Ihr habt ja vier Monate an Wiener Schulen gecastet. Nach welchen Eigen-schaften hast du für deine Rita gesucht - und was hat schließlich den Ausschlag für Barbara Osika gegeben?


Sie kam zum Casting mit diesem tranigen Gesicht und war auf eine Weise in sich verbohrt ... Auf der anderen Seite hat sie diese großen Augen. Sie hat eine unheimliche Ausstrahlung, außen diese Verweigerung und diese Tolpatschig-keit, aber gleichzeitig hat man das Gefühl, da ist irgendwas am Brodeln, unter dieser Oberfläche. Das war's einfach. Das war total sinnlich.

Habt ihr die Szenen vorher lang geprobt? Oder hast du die Darsteller selber viel ausprobieren lassen?

Bei den Szenen, wo mehrere Darsteller beteiligt waren, haben wir die "Kamikaze-Nummer" gemacht - für mich sehr spannend! Ich hab vorher nur - je nach Kamerabewegung - grob erklärt, wer wann wo stehen soll, aber eben nicht zu viel, und hab einfach "bitte los" gesagt. Da wir auf Video gedreht haben, haben wir ab dem ersten Take immer mitgedreht. Danach haben wir aber oft bis zu dreißig Takes gebraucht.

Was ist in der Regie-Erfahrung der Unterschied zwischen deinen Kurzfilmen und jetzt eben deinem ersten abendfüllenden Spielfilm?


Das ist schwierig zu sagen, weil ich keine klassische Dramaturgie gewählt habe. Meine Dramaturgie entwickelt sich auch auf 80, 90 Minuten nicht mit verschiedenen Ups and Downs, sondern der Langfilm arbeitet ähnlich wie die Kurzfilme mit Ellipsen und kurzen Sequenzen und im Stakkato aneinander gereihten Episoden. Das Prinzip war bei "Lovely Rita", wie schon bei meinen Kurzfilmen, in jeden Moment reinzuspringen. Jede Szene mußte im Moment authentisch sein, aber keine Szene trägt Motivationsballast aus dem, was vorher passiert ist, mit sich herum. Von daher war es ähnlich wie bei den Kurzfilmen, weil ich ja kein entwicklungspsychologisches Drama machen wollte.

In "Lovely Rita" fällt ein bestimmtes Retro-Element auf: die Polyester-Anoraks oder Prilblumen-Aufkleber. Sind diese Dinge nur präsent, weil Retro gerade allgemein präsent ist, oder haben sie eine bestimmte Bedeutung?


Das Ganze ist eigentlich ein Konglomerat, ein Stilmittel, das versucht, das Ganze nicht festzumachen in einer bestimmten Epoche. Letztendlich geht es um ein Sammelsurium von Dingen, die sich zu einem zeitlosen Eindruck zusammensetzen. Das hat auch mit der Stilisierung zu tun, mit den Zooms und mit der Mehrkameratechnik.

Du wirst oft als Teil einer Gruppe von Absolventinnen der Filmhochschule gesehen (Ruth Mader, Valeska Grisebach, Barbara Albert u.a.). Ist das nur der Eindruck von außen, oder gibt es tatsächlich diese Form des Zusammenhalts/der Zusammenarbeit?


Die gibt es - irgendwie hab ich das Gefühl, dass das so eine "Sternstunde" an der Filmakademie war. Bei uns hat es sich einfach ergeben, dass Leute zu-einander gefunden haben, die wirklich etwas miteinander zu tun hatten. Es ist ganz bestimmt so, dass wir uns gegenseitig bestärken und miteinander beschäftigen. Ich habe das letzte Jahr in Berlin verbracht, wo ich sehr viel von "Mein Stern" (Valeska Grisebachs Spielfilmdebut, Anm.) mitbekommen und auch mit Valeska zusammengewohnt habe. Wir haben uns gegenseitig im Schneideraum besucht. Das finde ich total wichtig. Sie gehört zum Beispiel zu den Personen, auf deren Meinung ich unheimlich viel gebe. Genauso Antonin Svoboda, Barbara Albert, Martin Gschlacht, Valentin Hitz oder Kathrin Resetarits. Wir zeigen uns unsere Drehbücher und sprechen darüber. Wir haben unlängst, im Zusammenhang mit den Diskussionen auf der Diagonale wieder darüber gesprochen, wie seltsam es ist, dass die österreichische Politik nicht kapieren will, dass eine österreichische Film-Identität zu schaffen wäre, oder anders formuliert, dass sie schon da ist.

Dein Film hat mich in einer ersten Assoziation an zwei Filmemacher erinnert. Zum einen Claude Chabrol, zum Beispiel an "La ceremonie". Andererseits an Michael Haneke.


Das freut mich, dass du Chabrol auch nennst. Ich schätze Chabrol tatsächlich sehr und habe mich vor einem Jahr auch eingehend mit ihm beschäftigt. Vor allem "Le Boucher" finde ich ganz toll. Das Gute am französischen Kino ist ja, dass sie diese Schere zwischen Kunst und Kommerz nicht kennen. Dass Chabrols Krimis gleichzeitig philosophische Filme sind. In "Le Boucher" geht es ja, wie in "Silence of the Lambs", um einen Psychokiller, der aber hier nie psychiatrisch auseinander genommen werden muss. Er ist halt ein "Psycherl" in einer Liebes-geschichte - scheiß drauf, welche Motivationen er hat: Die Tragödie spielt sich ganz woanders ab. Dadurch wird das Geheimnis und werden die Abgründe, die in den Menschen liegen, gewahrt. Deswegen ist so ein vor dreißig Jahren gedrehter Film jetzt noch so aktuell. Haneke interessiert mich natürlich auch sehr. Ich mag an seinen Filmen, dass sie unpsychologisch erzählen. Haneke stellt den Zuschauer vor Tatsachen, mit denen der mal klarkommen muss, statt sie zu erklären, sie einleuchtend und emotional zu gestalten. Das entspricht sehr meiner eigenen Wahrnehmung von Wirklichkeit.

Mit der Regisseurin sprach Maya McKechneay. Dieses Interview erschien in der Mai-Ausgabe des "RAY Kinomagazin".